Schiff aus Stein : Orte und Träume

Gauß, Karl-Markus, 2024
Schulbibliothek LIBS
Verfügbar Ja (1) Titel ist in dieser Bibliothek verfügbar
Exemplare gesamt 1
Exemplare verliehen 0
Reservierungen 0Reservieren
Medienart Buch
ISBN 978-3-552-07387-6
Verfasser Gauß, Karl-Markus Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen, Novellen
Schlagworte Erzählungen, Essays, Reisen
Verlag Paul Zsolnay Verlag
Ort Wien
Jahr 2024
Umfang 142 Seiten
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Karl-Markus Gauß
Annotation
Ein steinernes Geisterschiff auf einem albanischen Hügel, ein greises Hippiemädchen in Vilnius oder die geheimnisvollen Steinköpfe auf dem Fries der Kathedrale von ibenik: Der neueste Essayband von Karl-Markus Gauß fängt Begegnungen und Wahrnehmungen ein und spielt in unnachahmlicher Weise mit dem Zauber scheints zufälliger Begegnungen, hinter denen sich bei längerer Betrachtung die großen Zusammenhänge des Lebens auftun.
Feierlich verkündete Novalis 1797, dass es Aufgabe der Literatur wäre, die Welt neu zu lesen und sie zu romantisieren, indem man dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen verleiht.* Karl-Markus Gauß würde sich hüten, von »romantisieren « zu sprechen zu stark hat sich die Bedeutung des Begriffs gewandelt , in seinem Blick auf die Welt findet sich jedoch das gleiche Staunen gegenüber dem Unscheinbaren, Geringgeschätzten oder Randständigen, das er originell und eloquent in Beziehung zu geschichtlichen Ereignissen, kulturellen Entwicklungen oder persönlichen Erfahrungen setzt und damit als Teil eines größeren Ganzen sichtbar werden lässt. Wie die Gentechnik und die Mystik geht auch Gauß davon aus, im kleinsten Element den Code für ein größeres Ganzes buchstabieren zu können im Zupfen eines beliebigen Fadens bekommt man den Stoff eines großen Gewebes zu fassen. Magie? Literatur!
Dem Wesen von Orten und Landschaften auf der Spur
Überzeugt, dass man gleichermaßen aufmerksam wie absichtslos schreitend überall auf etwas stößt, in dem man das Wesen eines Ortes deuten kann, zeigt sich Gauß folgerichtig enttäuscht, als er im obersteirischen St. Michael in den ersten Anläufen keine den Ort bezeichnenden Eigentümlichkeiten entdecken kann,
»ist es doch ein zentrales Dogma meiner Lebensreligion, dass es keinen Ort gibt, der es nicht wert wäre, durchwandert und erkundet zu werden, weil ein jeder sein Geheimnis und seine Geschichte hat.« (S. 34)
Wie in den anderen knapp 50 Essays findet Gauß letztlich auch in St. Michael einen Wesenszug, der diesen Ort auszeichnet und ihm und seiner Bevölkerung wenn schon nicht Größe so doch eigenwillige Besonderheit verleiht. Und das gilt viel, werden bei ihm Sonderlinge ja nicht als Absonderlinge vorgeführt, sondern bevorzugt zu Besonderlingen geadelt.
Vom Gehen und Verweilen
Lesen, Denken, Gehen alles hat seine Geschwindigkeit und seinen inneren Rhythmus. Beim Lesen von Gauß' Texten erscheinen sie synchron und so fühlt man sich in diesen bedächtigen Rhythmus förmlich hineingezogen.
»Ich bin kein Wanderer und kein Flaneur, für jenen fehlt mir die sportliche Ambition, zu diesem der kulturelle Snobismus. Ich bin ein Geher und ein Schauer, also ist das Schlendern mein Metier.« (S. 35)
Gehend, schauend und verweilend im Augenblick angekommen, verschwindet die Angst, etwas zu versäumen die uns umgebenden Dinge gewinnen an Kontur und beginnen zu erzählen. Die Schildkröte kann bekanntlich mehr vom Weg erzählen als der Hase.
Verlangsamten Schritts
Ist der passionierte Geher in frühen Essaysammlungen bisweilen noch gegen etwas vorgegangen oder auf etwas losgegangen der 1998 erschienene Band »Ins unentdeckte Österreich« war noch mit »Nachrufe und Attacken« untertitelt , so stoßen wir in späteren und vor allem diesem Erzählband fast ausschließlich auf ein wohlwollendes Zugehen und interessiertes Mitgehen. Verärgerungen werden ironisch aufgelöst, Anflüge von Verbitterung angesichts von Schrecknissen und Ungerechtigkeiten vom weiteren Verlauf des Betrachtens und Bedenkens eingehegt. In dieser Ausgewogenheit des Gehens, Schauens und Denkens erhält der Essayband etwas Fließendes, was sich auch in der Textgestaltung ausdrückt statt Überschriften und Seitenumbrüchen sind es nur leichte Hervorhebungen, die die einzelnen Essays nahezu bruchlos zusammenfügen. Verdichtet auf Texte von meist wenigen Seiten folgen wir Gauß' Erkundungen in einer Lesezeit, die uns gerade einmal die Kathedrale von ibenik umrunden oder die Piazza Garibaldi in Rovigo queren ließe. Ungleich länger gehen einem die Texte in der eigenen Erinnerung nach.
Nach außen und nach innen Gehen
Diese Fortbewegungsform des Sich-aus-dem-Gleichgewicht- Bringens und Wieder-Auffangens führt bei Gauß nicht nur in geografische Außenräume, sondern auch hinein in die Innenräume der Erinnerungen, Träume und prägenden Leseerlebnisse. Hand in Hand gehen diese Wahrnehmungen durch die Räume des Bewusstseins und gewähren nebenbei auch den einen oder anderen autobiografischen Einblick. Als am Ende des Buches ein Text das Nahtoderlebnis beim plötzlichen Verlust des Gleichgewichtssinns auf einer Vortragsreise in Posen aufgreift, in dem sich der Autor Gedanken über seinen letzten Gang macht, tritt er als Akteur zur Gänze vor den Vorhang. Die Geschichte findet ein gutes Ende, der literarische Abgang, in dem sich das Gehen und die Literatur wieder einmal als Schutz erweisen, berührt.
Suchend findend
Beklagt der »glaubensstrenge katholische Atheist« im Blick auf die schwarze Madonna einer Renaissancekapelle in Vilnius den »beständigen Schmerz dessen, der die Schönheit bewundern, aber in die Frömmigkeit nicht zurückfinden kann« (S. 124), so könnte man doch festhalten, dass das Zugehen des Autors auf das Leben zumindest entlang der Grenzen der Seligkeit führt und sich ein talentierter Schauer nie vor einer spirituellen Schau sicher fühlen sollte.
Bemerkung Katalogisat importiert von: Rezensionen online open (inkl. Stadtbib. Salzburg)
Exemplare
Ex.nr. Standort
4394 DR, Gauß