Annotation |
Einfühlsame Erzählung über den schwierigen Umgang mit dem Sterben. (DR) Was passiert, wenn der Tod nicht schlagartig auftritt, sondern sich langsam in das Leben schleicht und einen Menschen im Laufe von Jahren der geistigen Verwirrung, gepaart mit voranschreitendem körperlichen Siechtum, okkupiert? Tahar Ben Jelloun, einer der Hauptvertreter maghrebinischer Literatur, Jahrgang 1944, begleitet in seinem neuen Buch seine Mutter auf ihrem sechsjährigen Leidensweg. Die an Alzheimer erkrankte Yemma lebt seit dem Tod des Ehemannes zurückgezogen in einem stark renovierungsbedürftigen Haus in Tanger und wird von der langjährigen Dienerin und Pflegerin Keltoum versorgt. Der Sohn und erfolgreiche Autor versucht möglichst viel Zeit an der Seite der einst so lebensfrohen und resoluten Mutter zu verbringen und erzählt in berührenden Worten die Lebensgeschichte dieser einfachen marokkanischen Frau. In einer Mischung aus eigenen Kindheitserinnerungen und den immer verwirrender werdenden, durch die Krankheit zerstörten Erinnerungen der Mutter lässt Ben Jelloun ein Kaleidoskop marokkanischer Traditionen und religiöser und gesellschaftlicher Riten entstehen, die leider gelegentlich ins Klischeehafte abdriften. Trotzdem beeindruckt das Buch vor allem durch seine realistisch anmutende, nichts beschönigende Sprache, die aus der Ich-Perspektive der kranken, alten Mutter das interessante Porträt einer Frau zwischen Tradition, Religion und den Anforderungen der neuen Zeit zeigt. Die einst tatkräftige Mutter wird zum pflegebedürftigen Kleinkind, die Rollen zwischen Elternteil und Sohn werden vertauscht. Am Ende steht der Tod, der sanft und erlösend eintritt. In einer Zeit, wo vielfach über die schwierige Thematik der Altenpflege diskutiert wird, erzählt das Buch von der Möglichkeit des würdevollen und von der Familie liebevoll umsorgten Alterns und Sterbens einer todkranken Frau. *bn* Barbara Tumfart |