Über Nacht : Roman

Gruber, Sabine, 2007
Schulbibliothek LIBS
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Medienart Buch
ISBN 978-3-406-55612-8
Verfasser Gruber, Sabine Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen, Novellen
Systematik WEB - Importe aus Online-Katalogisierung
Interessenskreis Schüler, Lehrer
Schlagworte Leben, Roman, Zufall
Verlag C. H. Beck
Ort München
Jahr 2007
Umfang 237 S.
Altersbeschränkung keine
Auflage 2.
Sprache deutsch
Verfasserangabe Sabine Gruber
Annotation Unser Lebensfaden hat eben eine andere Farbe, heißt es in Sabine Grubers neuem Roman, und: besser eine andere Farbe als schlecht gewoben. Über Nacht ist die Geschichte zweier Frauen, der über aussterbende Berufe forschenden, allein erziehenden Mutter Irma und der Altenpflegerin Mira, deren Lebensfäden in Wien und Rom ganz erstaunliche Parallelen aufweisen: Beide sind überzeugt, dass wir durch glückliche oder unglückliche Fügungen geboren werden, und dass es manchmal sogar der Zufall ist, der uns auslöscht. Beide leiden unter brüchigen Beziehungen (in der Liebe kann man keinen Fehler machen), haben einen homosexuell veranlagten Freund (eine gut gebundene Krawatte ist der erste ernsthafte Schritt ins Leben), legen ihr Handy beim Autofahren zwischen die Beine und haben ein auffallendes Faible für Vögel (ursprüngliche Lauftiere, die mit Sprüngen und Flattern versucht haben, schneller zu werden und nur durch Zufall das Fliegen erlernten). Irma zählt mit ihrem Geliebten Rino auf dem Weg durch die Stadt die Vögel; der Sieger, so wird vereinbart, darf den Ablauf des Abends bestimmen, während Mira mit einem alten Mann im Pflegeheim über die Summe der Stare um Zigaretten wettet. Für Irma war das Glück schon unglaubwürdig geworden, sie wollte dem Tod noch einen Sinn abtrotzen. Entgegen den Mahnungen ihrer Mutter, wer in der Nacht anrufe, könne nur der Tod persönlich oder dessen Botschafter sein, erhält sie ausgerechnet eines Nachts den erlösenden Anruf aus dem Krankenhaus: "Wir haben eine Niere für Sie". Seit ihrer Nierentransplantation hat sich ihr Sterben auf Raten in ein Leben auf Raten verwandelt. Doch sie wird immer wieder daran erinnert, dass sie ihr Leben einem fragwürdigen Tod, nämlich jenem eines Fremden verdankt, sie hat immer wieder das Gefühl, als hätte ihr Blick sich nach der Operation verändert, als schauten noch ein Paar andere Augen aus ihr heraus, die nicht ihre eigenen wären. Auf der Suche nach Unfallopfern durchblättert sie den Chronikteil der Zeitungen. Um mit der Ungewissheit und dem fremden Organ besser leben zu können, um ihrer Spenderin das Leben zurückzugeben, erfindet Irma eine Tote. Mira ist alten Männerkörpern gegenüber längst abgestumpft, sorgt sich vielmehr über ihre Soll-Ehe mit Vittorio, den philosophischen Möbelhändler, der mit seinen Kunden den Stuhl, das stützende Skelett zwischen Himmel und Erde, mit ihr den Tisch teilt, der per se alles zweiteilt, da er Unterleib, Beine und Füße dem Blick entzieht. "Ein Mann, der keinen Sessel hat, hat nichts", klebte jahrelang auf seinem Schaufensterglas. Mit Rino versucht sie sich über die Männerbekanntschaften ihres Mannes hinwegzutrösten; sie spazieren an einem Drehorgelspieler mit entstelltem Gesicht vorbei, der sich einen Karton umgehängt hat, auf dem zu lesen steht: Spenden Sie für meine Operation. Nach Die Zumutung, deren Heldin Marianne an einer schweren Nierenkrankheit leidet und einen Wettlauf gegen die Zeit führt, in dem sie ein verändertes Körperbewusstsein, eine neue Auseinandersetzung mit der Umwelt an den Tag legt und den Tod abzulenken versucht, lässt Sabine Gruber Marianne in ihrem dritten Roman immerhin noch eine Nebenrolle spielen und wagt sich ein zweites Mal an das umstrittene Thema. Spätestens die Gesichtstransplantation nach einer Kampfhundattacke in Frankreich hat wieder eine mediale Debatte um Organtransplantationen ausgelöst, die bis zum Vorwurf des Kannibalismus reicht. Werde die Frau das transplantierte Gesicht behalten, einer Toten wie aus dem Gesicht geschnitten sein? Was den Tod ausmache, könnten nicht die Ärzte entscheiden, lautet das Argument derer, deren Leben nicht an einem seidenen Faden hängt. In Österreich gilt wie in vielen europäischen Ländern die Widerspruchslösung; jeder ist ein potentieller Spender, nur dem, der sich schriftlich dagegen verwahrt, werden keine Organe entnommen. Über Nacht ist ein canone inverso, ein Spiegelkanon, sprachlich brillant und sehr poetisch, ein ungemein atmosphärischer Roman, der sich zusehends zuspitzt. Sabine Gruber paart wie Vögel in der Luft Raum und Zeit, erzählt ein Leben in den Wolken, zwei Biographien, ohne Distanzen und Lügen, ohne unwichtige Details auszulassen, und vermag dadurch eine ungeheuere Nähe herzustellen. Was verbindet Irma mit Mira? Wo ist der Knopf im Lebensfaden? Ist es der römische Möbelhändler mit den zwei Eheringen, bei dem Irma das schwarz gerahmte Foto jener jungen Frau entdeckt, deren Bild ihr noch einmal im Altersheim begegnet, oder Rino, der sich mehr für Filmfehler, verschwindende Requisiten und historische Unmöglichkeiten interessiert als für die eigenen Lebensfehler? Sabine Gruber verspinnt einmal in der ersten Person, einmal in der dritten Person die beiden Frauenschicksale, führt den Leser auf eine falsche Spur und erzeugt dadurch ungemeine Spannung: Denn warum die beiden Protagonistinnen Irma und Mira aus gleichem Holz (und den gleichen Buchstaben) geschnitzt sind, das erfährt der Leser erst auf der allerletzten Seite. *Brenner Archiv / Literaturhaus am Inn* Birgit Holzner
Bemerkung Katalogisat importiert von: onlineRezensionen (ÖBW)
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